- Artikel-Nr.: BU029
Warum bloß kommen einem beim Hören der Musik von SUTCLIFFE immer wieder die Filme von Quentin Tarantino in den Sinn? So, als hätte die noch junge Band aus dem Nürnberger Raum geahnt, dass ihre Musik tatsächlich (mindestens) einen Film im Kopf ihrer Hörer ablaufen lässt, nannten sie ihre erste (längst vergriffene) EP 2007 auch gleich „Kopfkino“.
Ihre größtenteils instrumentale Musik nimmt einen nicht nur gefangen – sie nimmt uns zugleich mit auf eine Reise in die Ecken unseres Gehirns, die wir in der Hektik des Alltags immer mehr vernachlässigen. Dort, wo das Ruhe- und das Angst-Zentrum aufeinandertreffen, nisten sich ihre Gitarren, Bässe, Keyboards, Schlaginstrumente und besonders das Akkordeon ein und treiben im faustschen Sinne ein „verteufelt Spiel“ mit uns. Musik, die Bilder von wundervollen Landschaften malt, über denen am Himmel langsam die Sonne von Wolken verdunkelt wird und sich in der Ferne ein Gewitter zusammenbraut. Dazu braucht es keinen Gesang, aber sehr viel Gefühl.
Selbst bei der Wahl des Bandnamen loten SUTCLIFFE die Grenzen zwischen tödlicher Bedrohung und einer geheimnisvoll wirkenden Musikgeschichte aus. Peter William Sutcliffe, der englische Serienmörder, und Stuart Sutcliffe, der beinahe vergessene, aber trotzdem fünfte Beatle, ohne den sein bester Freund John Lennon nie das geworden wäre, was er bis zu seinem Tod solo und für die Beatles war, treffen hier aufeinander. Beide finden sich in SUTCLIFFEs Musik wieder – der lebensbedrohliche Typ genauso wie der zu früh vergessene und zu schnell gestorbene Musiker, dem jeglicher Erfolg verwehrt blieb. Hier erklingt ein Spagat zwischen beiden.
Musik, die sich locker in jedem schaurig-schönen und zugleich anspruchsvollen Film höchste Lobpreisungen verdienen könnte, trifft auf Melodien, die sogar neben austauschbarer Radiokost Aufsehen erregen würde, ohne als Störung von ausschließlich radioerprobten Hörern empfunden zu werden. Da sind Erinnerungen an Calexico oder Giant Sand durchaus berechtigt, aber keine Vergleiche, weil SUTCLIFFE bewusst ihren ureigenen Stil vertreten. Das galt für ihre erste CD „Sutcliffe“ (2009) genauso wie für ihr zweites Album „Mom, Where Are The Seahorses?“ (2010). Und gilt auch für ihr neustes musikalisches Kunstwerk, schlicht und ergreifend „III“ betitelt. Jeder verbale und musikalische Ballast wird einfach über Bord geworfen. Dafür aber werden großartige Gäste eingeladen. Auf „Mom, Where Are The Seahorses?“ waren es die beiden Sänger Phil Vetter und Diana Franz, auf „III“ ist es diesmal die legendäre Sängerin Gudrid Hansdóttir von den Faröer Inseln, die auf „Ever Wonder“ ihre Ausnahmestellung unter den weiblichen Stimmen, die uns Tag für Tag aus dem Radio oder dem Fernseher entgegenhallen, unter Beweis stellt. Ein Song voller Tiefe – vielleicht zu viel Tiefe für Radio und TV? Hoffentlich nicht!
Auch dass ihre oft zwischen traumhaft und traumatisch klingende Musik, selbst wenn sie instrumental ist, nicht unpolitisch sein muss, ist eine Herzensangelegenheit der vier musizierenden Herren und der einen für Akkordeon und Keyboards verantwortlichen Dame! Auf „Kopfkino“ waren es noch die Toncollagen, die Walter Ulbricht, ehemaliger oberster DDR-Diktator, zur Bedeutung der Pop-Musik in der DDR von sich gab. Auf „III“ ist es ihr Bekenntnis zu den drei Musikerinnen der russischen Punk-Band „Pussy Riot“, denen man wegen ihrer Anti-Putin-Aktion in der russisch-katholischen Kirche gerade drei Jahre Arbeitslager aufgebrummt hat. SUTCLIFFE beziehen eindeutige Stellung dazu, ganz besonders auch in ihren Konzerten: „Wir alle in der Band sind politisch interessiert. Deshalb haben wir jetzt während unserer Konzerte im Live-Video des Songs 'Pussy Riot' Bilder zu Aufständen auf der ganzen Welt laufen. Damit möchten wir unsere Solidarität für die Demokratiebewegungen ausdrücken.“ Auch so kann man Botschaften vermitteln, ganz ohne Worte. Die Musik von SUTCLIFFE spricht jedenfalls Bände für die Ohren. Unüberhörbar!
SUTCLIFFE klingen wie die Suche nach der großen Freiheit zwischen den Müllbergen der modernen Zivilisation. Was auch immer sie auf dieser Suche finden werden, mit „III“ haben sie eine Hinterlassenschaft am Start, die der Hörer garantiert nicht vergisst!
(Thoralf Koß)