Die finnische Folk-Violinistin Emilia Lajunen hat sich auf ihrem Soloalbum „Legacy of the Dead: Deep in the Dregs“ viel vorgenommen: Sie will ein ganzes Dorf voller leidenschaftlicher Fiddler aus den Archiven auferstehen lassen! Dabei verbindet sie die uralte Kunst der finnischen Fiddler mit ihrem eigenen, unverwechselbaren Spiel. Weitere Akzente entstehen aus der engen Kooperation mit dem Elektronik-Soundtüftler Eero Grundström, mit dem die Musikerin bereits seit 20 Jahren zusammenarbeitet.
Die beiden Titelsongs stammen von zwei legendären, längst verstorbenen finnischen Fiddlern, Jalmari Siiriäinen und Juho Laitila. „Das Erbe der Toten ist der Bodensatz der Volksmusik, der auch dann bleibt, wenn heutige Interpreten etwas Neues erschaffen. Der Bodensatz der Volksmusik, die einzigartigen Spielweisen, die Geschichten und Schicksale, die in den Archiven ruhen, all das ist für mich wichtig“, sagt die Musikerin zum Hintergrund des Albums. „Früher lebten die Menschen langsam und schwelgten in stiller Verzückung. Ihre Musik erreicht das Hier und Heute durch Jahrhunderte vergessener Erzählungen. Wegen dieser großen Entfernung müssen wir dieser Musik unsere Phantasie und vor allem unsere Zeit schenken“, empfiehlt Emilia Lajunen.
Sie verbindet auf ihrem Album die aus den Archiven gehobenen historischen Aufnahme mit Tanz, Bewegung und Spiel, um ganz neue Töne zu erzeugen. Entstanden sind die Albumtracks für Lajunens Bühnenprojekte. „Es war ein langer, interessanter und neuartiger Weg“, blickt die Musikerin zurück. Und obwohl hier der Fokus auf der Tradition liegt, entpuppte sich das Projekt bei den Konzerten in der Sibelius Akademie in Helsinki als experimentell und kreativ. „Meine Kombination aus Tanz, Musik, persönlicher Kreativität und Tradition ist derjenigen der alten finnischen Fiddler sehr ähnlich“, blickt Emilia Lajunen zurück. Der finnische Choreographin Marjo Kuusela, eine zentrale Figur des zeitgenössischen Tanzes, hatte zudem großen Einfluss auf ihre Projekte, betont die Musikerin.
„Natürlich erscheinen Eeros Electronics und Synthesizer-Sounds auf dem Album sehr modern. Aber wie man hoffentlich hört, will Eero immer, dass alles sehr analog und natürlich klingt. Alle Beats und Rhythmen auf dem Album kommen direkt aus seinen Bewegungen, nicht aus Maschinen! Die Art und Weise, wie Eero neue Instrumente und Klänge kreiert, und die Tatsache, dass es auf der Bühne eine riesige Menge an buntem, chaotischem Kabelsalat gab, wirkten auf mich sehr traditionell und sogar ländlich“, erläutert die Musikerin.
Zufälligerweise feiert der finnische Volksmusikverband im Jahr 2023 ein Themenjahr mit dem Titel „Arkistojen Äärellä" (In den Archiven). „Das passt! Ich arbeite schon seit vielen Jahren in den Archiven, sie sind für mich eine natürliche Quelle der Kreativität“, betont Lajunen. Für Volksmusikexperten ist es aus ihrer Sicht interessant, dass sich die Musik auf ihrem Album zwischen zwei verschiedenen finnischen Traditionen bewegt: Dem archaischen, minimalistischem „Runo"-Gesang aus der Kalevala-Tradition, der hauptsächlich aus Ostfinnland stammt. Und der tanzaffinen, internationaleren Geigenmusik „Pelimannimusiikki“ des 19. Jahrhunderts, die hauptsächlich aus westlichen oder zentralen Teilen Finnlands stammt.
Emilia Lajunen ist nicht nur als Solomusikerin aktiv, sondern hat schon mit vielen finnischen Folkmusikern zusammengearbeitet. Sie hat als Teil eines Duos ein Album mit der Fiddlerin Suvi Oskala veröffentlicht. Zudem ist sie mit Eero Grundström als Teil des Duos Juuri & Juuri aktiv und ebenso bei Ritva Nero.